Der Suizidpräventionspreis

“Etwas Besseres als den Tod findest Du überall…”

Seit 2012 verleiht die Bundesarbeitsgruppe “Suizidprävention im Justizvollzug” den Suizidpräventionspreis an besonders herausragende Präventionsprojekte in deutschsprachigen Ländern.

Der Preis – eine Skulptur der Bremer Stadtmusikanten – wird vom Bundesland Thüringen gestiftet und wurde bislang von Inhaftierten der JVA Suhl-Goldlauter in Handarbeit angefertigt. Seit 2017 übernehmen diese Aufgabe Inhaftierte der JVA Untermaßfeld. Er soll auf innovative und kreative Projekte zur Suizidprävention im Justizvollzug aufmerksam machen und dem Engagement der am Projekt Beteiligten Anerkennung zollen. Er soll Mut machen, im Umgang mit suizidgefährdeten Gefangenen über bewährte Maßnahmen hinaus, nach kreativen Lösungen zu suchen. Preiswürdige Projekte sollten bereits in der Praxis erprobt sein und Vorbildcharakter für andere haben. Gefragt sind Einrichtungen und Abteilungen des Justizvollzugs, Teams, Gruppen, Kooperationen, in Ausnahmefällen auch Einzelpersonen, die in besonderem Maße geeignete Maßnahmen bzw. Modelle zur Suizidprävention im Justizvollzug erarbeitet und umgesetzt haben. Wenn Sie entsprechende Kooperationen / Personen vorschlagen wollen, ist Frau Dr. Meischner-Al-Mousawi die Ansprechpartnerin.

Bisherige Preisträger:

 

Die meisten Suizide im Justizvollzug ereignen sich zu Beginn der Inhaftierung. Eine übliche Praxis zur Unterstützung der neu Inhaftierten ist die gemeinschaftliche Unterbringung mit einem anderen Gefangenen. Die Unterstützung durch Mitgefangene wird von den Betroffenen als besonders unterstützend erlebt. Im Rahmen des Listener-Projektes, unter der Leitung von Dr. Willi Pecher, werden sorgfältig ausgewählte Gefangene geschult und betreut, damit diese Gefangene die neu Inhaftierten bei der Anpassung an die Haftsituation und bei suizidalen Krisen während einer gemeinsamen Unterbringung in speziell dafür vorgesehenen Hafträumen unterstützen können.

Zur Schulung gehören die persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Suizid, Rollenspiele, die Vermittlung von Informationen über Menschen in Krisen, Suizidalität sowie Gesprächstechniken. Einsätze werden nachbesprochen. Die Teilnahme am Listener-Projekt ist freiwillig und unentgeltlich.

Mit diesem innovativen Projekt können Gefangene bei einem Perspektivwechsel unterstützt und Hoffnungslosigkeit entgegengewirkt werden.

Das Projekt Risk-Assessment wird seit 2006 ist der JVA Frankfurt I unter der Leitung von Dr. Peter Milde durchgeführt. Es richtet sich an neu inhaftierte Personen in der Untersuchungshaft. Nach einer professionellen Diagnostik zu Haftbeginn wird Gefangenen die Teilnahme an diesem Projekt ermöglicht. In den ersten 6 Wochen der Haft gibt es strukturierte Angebote zur Unterstützung der Anpassung an die Haft, zur Bewältigung von Krisen, zu Stabilisierung und zur Beschäftigung. Dazu zählen beispielsweise Gesprächsgruppen, soziale Unterstützung und kunsttherapeutische Angebote, umgesetzt durch ein engagiertes Team. Nach Ablauf der 6 Wochen konnte ein hoher Teil der Gefangenen in einen Arbeitsprozess oder in die Arbeitstherapie integriert werden. Zwischen 2006 und 2011 haben 304 Gefangene an diesem Projekt teilgenommen. Es hat sich in dieser Zeit kein Suizid und kein Suizidversuch bei diesen Gefangenen ereignet. Die Wirksamkeit konnte durch eine Evaluation belegt werden.

Die Landesarbeitsgruppe Suizidprävention im Justizvollzug des Bundeslands Sachsen befasste sich während ihrer Arbeit mit einem besonderen Projekt zur Suizidprävention, die Ausstellung „(Aus-)Wege?! – Suizide und Suizidprävention im Justizvollzug“. Die Konzeption der Ausstellung entstand in einem dreijährigen Arbeitsprozess der Mitglieder; in das Konzept flossen zahlreiche praktische Erfahrungen aus eigener Arbeit, aber auch Forschungsergebnisse und Material aus anderen Bundesländern ein. Im Ergebnis entstand eine Wanderausstellung in einem Raum von 5 Metern Breite und 7 Metern Länge. Die Ausstellung ist in unterschiedliche Bereiche gegliedert und behandelt verschiedene Themen. Beginnend mit der Visualisierung des Haftalltags mittels des Filmes „Einschluss“, welcher in der JVA Zeithain gedreht wurde, zeigt sie weiter die kunsttherapeutische Begleitung eines suizidalen Inhaftierten aus einer JVA und berichtet vom Suizid eines Gefangenen aus Sicht einer Angehörigen. Zu sehen sind darüber hinaus Abschiedsbriefe von Suizidenten. Auch Bedienstete schildern Suizide und Suizidversuche aus ihrer Perspektive. Ebenso wird über bekannte Suizidenten und ihre Geschichten berichtet. Viel Wissenswertes über Suizide wurde zusammengetragen, aber auch Mythen zur Suizidalität werden aufgeklärt. Anhand eines „Suizidtunnels“ wird die gedankliche Einengung bei Suizidalität veranschaulicht. Verschiedenartige „Suizidmittel“ werden dargestellt. Darüber hinaus schildert die Ausstellung die Trauerarbeit der Seelsorge. Auch der Suizidpräventionsraum der JVA Leipzig, der ebenfalls durch die Landesarbeitsgruppe entwickelt wurde, wird vorgestellt. Für die Gäste der Ausstellung werden die Ziele und der Inhalt von Suizidkonferenzen und Krisennachsorge visualisiert und Möglichkeiten der Krisenintervention dargestellt. Am Ende der Ausstellung können die Besucher Varianten der Psychohygiene entdecken. Der Lebensbaum „Was gibt mir Kraft im Leben?“ und das Nachdenken über den Sinn des Lebens mit der Frage „Wie bunt ist Deine Stadt?“ schließen die Ausstellung ab.

Die Landesarbeitsarbeitsgemeinschaft „Suizidprävention und Krisenintervention im Saarländischen Strafvollzug“ (LAG) gründete sich Ende 2010 nach dem Suizid eines Jugendlichen in der JVA Ottweiler. Seit ihrer Gründung erarbeitete sie eine Vielzahl von neuen Maßnahmen zur Suizidprävention. Die Arbeit der interdisziplinär besetzten Landesarbeitsgemeinschaft fand erste Umsetzung in Form gemeinsamer Fallbesprechungen und folgend zahlreicher konkreter Arbeitsergebnisse. Zunächst wurde hier ein wissenschaftlich fundiertes, bereits evaluiertes Suizidscreening für Erwachsene und Jugendliche implementiert. Dieses wird unmittelbar nach Ankunft eines Gefangenen im Rahmen eines Erstgesprächs durchgeführt, um eine mögliche (Suizid-) Gefährdung zu beurteilen. Auch eine Ausweitung der Monitorhafträume mit wöchentlichen Monitorkonferenzen im interdisziplinären Team für alle Gefangenen, die auf solchen Hafträumen untergebracht wurden, wurde vorgenommen. Begegnung und Kommunikation stützen Menschen in persönlichen Krisen. Um diesem Bedürfnis aber auch dem grundsätzlichen Anspruch auf Einzelunterbringung und dem Schutz der Privatsphäre zu entsprechen, gibt es im Saarland seit Januar 2016 das „Projekt Tandemzelle“.

Im österreichischen Justizvollzug wurde bereits vor vielen Jahren das Screeningverfahren „Viennese Instrument for Suicidality in Correctional Institutions“ (VISCI) entwickelt, welches durch ein Ampelsystem eine solide Grundlage liefert, um Sicherungsmaßnahmen und eine sinnvolle Haftraumzuweisung zu initiieren. Dieses System wird durch die Fachgruppe, die sich 2011 gründete, stetig weiterentwickelt. Darüber hinaus wurden Abläufe der Suizidprävention formalisiert und standardisiert und damit eine Handlungsorientierung vorgegeben, die einen außerordentlichen Beitrag zur Sicherheit im Arbeitsgeschehen leistet. Zudem wurden zahlreiche Workshops und Vorträge gehalten, Inhouse-Schulungen für einzelne Gruppen von Bediensteten gestaltet und Fortbildungsseminare im Rahmen des allgemeinen Fortbildungsprogramms der Strafvollzugsakademie durchgeführt. Angesichts der tragischen Folgen eines Suizids – nicht nur für die Suizidenten selbst, sondern auch für deren Angehörige und Freunde, und nicht zuletzt für Bedienstete – wurden Nachsorge-Angebote ausgebaut. So wurden Reflexionskonferenzen nach einem Suizid eingeführt. Dadurch haben auch die betroffenen Kollegen eine Möglichkeit, sich zu äußern und Ansatzpunkte für die Verarbeitung des Erlebten zu finden. Aber damit nicht genug: Die Fachgruppe entwickelte auch einen Leitfaden für Gespräche mit Angehörigen nach einem Suizid. Der Leitfaden kann eine Hilfestellung für das häufig als sehr schwierig wahrgenommene Gespräch mit den Angehörigen sein und Bediensteten, die dieses führen, mehr Sicherheit bieten.

Die Landesarbeitsgruppe Suizidprävention im Justizvollzug Thüringen hatte es sich zur Aufgabe gemacht aus Ereignissen zu lernen, Materialien zu entwickeln, Bedienstete weiterzubilden und die Konzeption der Suizidprävention des thüringischen Justizvollzuges weiter zu optimieren. Es wurde eine Screeningverfahren entwickelt und implementiert. Das Videodolmetschen wurde eingeführt, die Angebote in Haft zur Stärkung der Resilienz wurden ausgebaut. Es wurden Suizidkonferenzen als Methode der Nachsorge eingeführt. Darüber hinaus gab es noch viele weitere Projekte. Besonders hervorheben ist die Entwicklung von Plakaten, Standards, Handlungsleitfäden, Formularen und Flyern.  Die Entwicklung einer solchen Struktur mit derartig vielfältigen Projekten ist eine enorme Aufgabe ist und erfordert ein beeindruckendes Engagement.

Das Projektteam Basis-VV entwickelte eine Fachanwendung zur Dokumentation der Informationen und Einschätzungen zum Suizidrisiko von Gefangenen. Dadurch wurden vielfältige und effiziente Verbesserungen ermöglicht, z.B. müssen Informationen nicht mehr in Papierakten gesucht werden, es erfolgte eine Optimierung der Prozesse durch Standardisierungen und eine Vereinheitlichung. Außerdem wurden Evaluationsinstrumente eingearbeitet. Dadurch ist eine effiziente und qualitativ hochwertige Behandlungssteuerung möglich. In der Fachanwendung selber werden die relevantesten Risikofaktoren (Basissuizidalität) eingearbeitet, es gibt Textfelder zur detaillierten Beschreibung des individuellen Eindrucks, aber auch automatisch generierte Warnungen. Durch die Einarbeitung von Pflichtfeldern wird eine vollständige Dokumentation ermöglicht.

Die anwendenden Bediensteten wurden geschult und das Verfahren wurde implementiert. Die Handlungssicherheit in der Suizidprävention, einem wichtigen Bereich der vollzuglichen Arbeit, konnte deutlich verbessert werden.

Mit der Verleihung des Suizidpräventionspreises 2022 wurde die Erstellung eines Lehrfilms zur flächendeckenden Einführung eines Suizidalitäts-Screening-Bogens gewürdigt. Um dem erhöhten Suizidrisiko in den ersten Tagen nach der Inhaftierung besser begegnen zu können, wurde im 2021 Jahr ein kriminologisch begleitetes Screeningverfahren zur Erfassung suizidaler Risikofaktoren bei Haftantritt von Gefangenen eingeführt. Dies stellt einen weiteren wichtigen Baustein eines einheitlichen, standardisierten und flächendeckenden Suizidpräventions-Konzepts im baden-württembergischen Vollzug dar. In Ergänzung zu einer Handreichung zur Erklärung der Anwendung des Screeningbogens wurde der Lehrfilm erstellt, der den Justizvollzugsanstalten zur Verfügung steht und über das Vorgehen informiert.